Lebensweise und Ökologie des Wolfs
Wölfe waren, ebenso wie Luchs und Bär, seit jeher ein Bestandteil der natürlichen Umwelt in Mitteleuropa. Seit nun über 20 Jahren sind Wölfe wieder in Sachsen beheimatet. Es war seitdem möglich weitere Erkenntnisse über das Leben und das Verhalten der sächischen Wölfe zu erlangen. Im Folgenden werden wichtige Fragen zur Lebensweise und Ökologie des Wolfes in Kurzform beantwortet.
Das Wolfsrudel ist eine Kleinfamilie. Es besteht aus dem Elternpaar, das meist auf Lebenszeit verbunden ist, den Welpen und den Jungtieren aus dem Vorjahr (Jährlinge). Die Größe des Rudels schwankt im Jahresverlauf meist zwischen fünf und zehn Wölfen. Die Paarungszeit liegt im Februar und März. Nach einer Tragzeit von etwa zwei Monaten bringt die Fähe Ende April oder im Mai im Durchschnittvier bis sechs Welpen in einer Wurfhöhle zur Welt. Die noch blinden Welpen werden von der Fähe in den ersten vier bis sechs Wochen gesäugt. In dieser Zeit bleiben die Wölfe im engeren Umkreis der Wurfhöhle. Im Alter von acht bis zehn Wochen können die Welpen dann schon für mehrere Stunden allein gelassen werden, wenn die Eltern zur Jagd gehen. Ein Jährling bleibt dann oft zurück, um die Welpen zu beaufsichtigen.
Die erwachsenen Wölfe eines Rudels geben ihre Erfahrungen an die Jungtiere weiter. Dabei werden die Eltern oft von den Jährlingen unterstützt. Wenn die Jagd erfolgreich war, würgen die erwachsenen Tiere Fleischbrocken hervor oder sie bringen ganze Teile ihrer Beute zu dem Ort, an dem die Welpen auf sie warten (am sogenannten Rendezvouz-Platz). Die Jährlinge werden dann zunehmend selbstständiger und unternehmen Ausflüge - innerhalb und außerhalb des elterlichen Reviers. Im Alter von ein bis zwei Jahren wandern sie meist endgültig ab, um ein eigenes Rudel zu gründen.
Eine oft erwähnte Rangfolge mit den »Alphatieren« und einem »Omegawolf« am unteren Ende der Hierarchie existiert unter natürlichen Bedingungen nicht. Sie entsteht nur, wenn mehrere geschlechtsreife Tiere entgegen ihrem natürlichen Verhalten im Gehege gehalten werden und zur Nahrungsbeschaffung auf den Menschen angewiesen sind. Um die dabei entstehenden Spannungen um die »Beute« zu minimieren, bilden sich feste Rangordnungen aus.
Ein Wolfsterritorium muss so groß sein, dass die Elterntiere jedes Jahr genug Beute machen können, um ihren Nachwuchs großzuziehen. Je weniger Beutetiere in einer Region leben, desto größer muss das Gebiet sein, in dem das Wolfsrudel zu Hause ist. In Deutschland liegen die Reviergrößen bei rund 200 km², in Mitteleuropa oft zwischen 100 und 350 Quadratkilometern (zum Vergleich: der Nationalpark Sächsische Schweiz hat eine Größe von 93,5 km², das Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide von 70 km²). In Gebieten mit sehr geringer Beutetierdichte wie z.B. in Nordsibirien und Nordkanada sind Territorien von über 1.000 km2 nachgewiesen.
Die Jungwölfe aus dem elterlichen Territorium ziehen auf der Suche nach einem Partner in der Regel mit Erreichen der Geschlechtsreife in Ihrem zweiten Lebensjahr davon. Da andererseits jedes Jahr neue Welpen geboren werden, bleibt die Anzahl der Wölfe in einem Territorium relativ konstant.
Abwandernde Jungwölfe legen auf der Suche nach einem eigenen Partner und Revier nicht selten Strecken von mehreren hundert Kilometern zurück.
Der Wolf ist ein Fleischfresser und ist somit auf das Erbeuten von Tieren angewiesen. Ein erwachsener Wolf benötigt täglich etwa 2 bis 3kg Fleisch. Er kann bis zu 11 kg Nahrung auf einmal aufnehmen, aber auch zwei Wochen hungern.
Seine natürliche Nahrung besteht aus wildlebenden Huftieren, deren Gegenspieler er ist. In Mitteleuropa ernähren Wölfe sich vor allem von Rehen, Rothirschen und Wildschweinen, örtlich auch von Damhirschen und dem Mufflon. In Skandinavien sind oft Elche oder Rentiere die Hauptnahrung. Auch Kleinsäuger und Aas sind Bestandteile der Wolfsnahrung. Im Süden Europas können dagegen, wo wildlebende Huftiere fehlen, Nutztiere und Abfall einen erhöhten Teil der Nahrung ausmachen. Aber auch in wildreichen Gebieten kommt es immer wieder zu Übergriffen von Wölfen auf Weidetiere.
Der Wolf jagt und tötet die Tiere, die er am leichtesten erreichen und überwältigen kann. Das sind neben alten, kranken und schwachen Individuen vor allem Jungtiere. Aber auch Weidetiere werden erbeutet, insbesondere wenn sie unzureichend geschützt sind. Er ist bzgl. Nahrung sehr anpassungsfähig. Je nach Verfügbarkeit und Erreichbarkeit kann die Zusammensetzung des Speiseplans saisonale oder jährliche Schwankungen aufweisen. So ergänzt der Wolf im Herbst manchmal seine Ernährung mit pflanzlicher Kost wie Obst und Früchte.
Im Zuge des Wolfmonitorings werden kontinuierlich Wolfslosungen (Kot) gesammelt, um die Ernährung der sächsischen Wölfe zu dokumentieren. Am Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz wird diese Nahrungsanalyse seit 2001 kontinuierlich durchgeführt. Die Wölfe in Sachsen und Deutschland ernähren sich demnach zu etwa 95 Prozent von wildlebenden Huftieren. Die Hauptnahrungsquelle ist nahezu überall das Reh. Der Grund hierfür ist das flächendeckende Vorkommen des Rehes. Dies stellt im Vergleich mit Osteuropa eine Besonderheit dar, wo der Rothirsch, als größte vorkommende Huftierart, am häufigsten erbeutet wird. Weitere Nahrungsbestandteile wie Hasenartige, mittelgroße Säuger, Kleinsäuger, Nutztiere, Vögel sowie Früchte spielen aufgrund ihrer geringen Biomasseanteile lediglich eine untergeordnete Rolle. In allen Wolfsterritorien haben die Jungtiere der Hauptbeutearten an der Nahrungszusammensetzung der Wölfe einen entscheidenden Anteil. Dabei werden vor allem in den Sommermonaten vorwiegend Kitze (Rehe), Kälber (Rot- und Damhirsch) und Frischlinge (Wildschweine) erbeutet.
Der zu Beginn festgestellte hohe Rothirschanteil nahm über die Jahre kontinuierlich ab (s. oben). Der Grund ist die Ausbreitung der Wölfe in Gebiete mit geringerem Rothirschvorkommen. Im Gegenzug stieg der Wildschweinanteil in der Wolfsnahrung in den letzten Jahren erheblich. Die steigenden Wildschweindichten, welche sich auch in den Jagstrecken wiederspiegeln (veröffentlicht durch SMUL 2017), bewirken die vermehrte Nutzung des Wildschweines als Beute durch den Wolf, besonders im Winter und Frühjahr, aufgrund des erhöhten Angebotes an weniger wehrhaften noch sehr jungen Frischlingen. In den kommenden Jahren ist davon auszugehen, dass der Wildschweinanteil in der Wolfsnahrung, in Gebieten mit einem flächigem Auftreten der Afrikanischen Schweinepest (ASP), wieder abnehmen wird.
Charakteristische Unterschiede in der Nahrungszusammensetzung der einzelnen Rudel konnten wiederholt festgestellt werden. Generell ist die Zusammensetzung der Wolfsnahrung abhängig von der Verfügbarkeit der wildlebenden Huftiere in den einzelnen Regionen, wobei der Rot- und der Damhirsch im Gegensatz zum Reh und Wildschwein nicht flächendeckend anzutreffen ist. In einzelnen Territorien können auch Hasenartige oder Biber einen beachtlichen Anteil in der Nahrung der dortigen sesshaften Rudel einnehmen, wie z. B. in der Königsbrücker Heide.
Das Vorkommen von Wölfen kann vielfältige Auswirkungen auf die Entwicklung von Wildbeständen haben - auf Anzahl, Zusammensetzung und Zustand der Wildtiere. Das Wolfsvorkommen und die Wolfsdichte werden wiederum durch die Verfügbarkeit der Beutetiere beeinflusst.
Die Bejagung durch Wölfe kann bspw. eine Abnahme der Beutetier-Population herbeiführen, insbesondere wenn die Nahrung für diese bereits knapp war. Untersuchungen haben aber belegt, dass ein Zuwachs in der Raubtierpopulation nicht zwangsläufig auch die Anzahl ihrer Beutetiere reduziert. Diese stehen in einer dynamischen Wechselbeziehung zueinander (sog. Räuber-Beute-Beziehungen), Um Einflüsse von Wölfen auf ihre Beutetiere zu bewerten, sind langjährig angelegte Feldstudien nötig.
Schließlich spielt auch der Mensch in diesem Beziehungsgeflecht eine wichtige Rolle. Eine Studie über die Wölfe in der Oberlausitz (Wotschikowsky, 2005) ergab, dass bei Rot- und Schwarzwild zu 90 Prozent der menschliche Jäger den Tod verursacht hatte, und nur zu 10 Prozent der Wolf. Bei Rehwild betrug das Verhältnis 60 zu 40, so dass auch hier der Mensch überwiegend für den Tod der Wildtiere verantwortlich war.
Zum Einfluss des Wolfes auf die sächsischen Wälder gibt es bislang keine umfassenden Studien. Ein Rudel Wölfe erbeutet im Jahresverlauf eine beträchtliche Anzahl von Tieren. Folgende Aussage erscheint daher naheliegend:
«Wo der Wolf jagd, wächst der Wald.»
Aber stimmt das? Den Effekt, dass Raubtiere einen indirekten Einfluss auf Gehölze und Vegetation haben können, beschreibt man als sogenannte «Trophische Kaskade». Diese Effekte wurden bereits in den Vereinigten Staaten von Amerika nachgewiesen. Dort, wo der Wolf wieder heimisch wurde (z. B. im Yellowstone oder der Isle Royale) und den Bestand an Weißwedelhirschen regulierte, wurden verschiedene Weichlaubgehölze, wie Pappel oder Weide, wieder häufiger (Petersen et al., 2014; Beyer et al. 2007). Auch im Calanda-Gebirgsmassiv in der Schweiz wurden solche Effekte beschrieben (Beeli F., 2017).
Allerdings stimmt das obige Zitat in dieser Absolutheit nicht. Denn zum Teil kommt es nur zu einer Verlagerung des Wildverbisses in Gebiete, wo die Wölfe weniger aktiv sind. So kann in der Kernzone eines Wolfsrudels die Verbissintensität abnehmen, sich dafür aber in einem anderen Bereich (z. B. Wintereinstand) erhöhen. Die Beutetiere stellen sich auf die Räuber ein, sie müssen häufiger ihre Umgebung sichern und weniger vorhersehbar werden. Sie verteilen sich also über die Fläche. Daher gibt es schon innerhalb eines Rudelterritoriums zum Teil sehr unterschiedliche Beobachtungen, die sich auch in den Erfahrungen der Jägerschaft wiederspiegeln.